Bild: Wärmerohre auf einem Acker
Hans Meister/trurnit

Wärme aus dem Acker

Aus kühlem Ackergrund nachhaltige Heizwärme zur Versorgung eines Neubaugebietes zu gewinnen, ist keine Zukunftsmusik: In der Gemeinde Werther setzen die TWS Thüringer Wärme Service GmbH und die örtliche Energiegenossenschaft das Vorzeigeprojekt gerade um. 

„Sie wollen aus Kälte Wärme gewinnen? Wie soll denn das funktionieren?“, war die ungläubige Rückfrage einer Bank, als die Energiegenossenschaft Helmetal eG eine Kreditvoranfrage für das Projekt „Kalte Nahwärme für das Neubaugebiet Lehmkuhle“ in Werther stellte. Jürgen Weidt, von 2009 bis Mai 2021 Bürgermeister von Werther und Aufsichtsratsvorsitzender der Energiegenossenschaft, erinnert sich aber auch, dass er ähnlich reagierte, als die TWS Anfang 2020 die Idee für ein kaltes Nahwärmenetz ins Spiel brachte. 

Ein weiteres Leuchtturmprojekt 

Kalte Nahwärme ist eine der neuesten und innovativsten Formen der Wärmeversorgung. Werden die Wärmepumpen in den angeschlossenen Häusern ausschließlich mit Ökostrom betrieben, entsteht die Heizwärme komplett CO2-frei. „Das hat uns überzeugt, in unserem Neubaugebiet mit der TWS ganz neue Wege zu gehen“, so Jürgen Weidt. „Bis dahin hatten wir noch an ein Holzhackschnitzelheizwerk gedacht“, weiß Claus Müller, Vorstand der Energiegenossenschaft und ebenfalls von Beginn an bei der Entwicklung des Wärmeversorgungskonzepts beteiligt. Prämisse war, das Neubaugebiet ausschließlich mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Denn nur das passt zur kommunalen Energiewende in der Gemeinde Werther, die bereits mit Solardachanlagen und einem Bürgerwindpark Leuchtturmprojekte realisiert hat, die weit über die Kommune hinaus strahlen. 

Auf die richtigen Partner kommt es an 

„Wir engagieren uns schon lange für die Energiewende. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht: nicht nur das Klima profitiert, sondern auch die Gemeinde und ihre Bürger“, so Jürgen Weidt. „Wichtig war uns auch diesmal, dass die Wertschöpfung möglichst weitgehend vor Ort bleibt.“ Entsprechend fiel die Wahl der Partner aus. Das erfahrene und innovationsfreudige Bauunternehmen Waresa kommt aus dem benachbarten Nordhausen. Und auch für die sonstigen Gewerke wurden ausschließlich Betriebe aus der Region beauftragt. Als Berater begleitete die landeseigene Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur ThEGA die erste Phase der Projektentwicklung mit viel Aufklärungsarbeit. „Entscheidend war dann die fachliche Expertise der TWS in den weiteren Beratungen sowie der technischen Ausarbeitung bis hin zur Projektreife“, resümiert Jürgen Weidt. „Und ganz wichtig: die angenehme, vertrauensvolle und unaufgeregte Zusammenarbeit von uns als Bauherr, der TWS und der Kommune.“ 

Pionierprojekt mit Lerneffekt 

Auch die TWS, inzwischen als Generalunternehmer bestellt, betrat mit der kalten Nahwärme in dieser Art Neuland. Denn das Einpflügen der mehrere tausend Meter langen Kollektorleitungen in das vorgesehene Areal war deutschlandweit bisher einmalig. Da der Spezialpflug in einem Arbeitsgang die 1,40 Meter tiefe Furche schneidet, die Leitung gleich mit einzieht und der Boden sich dahinter sofort wieder schließt, ist das Verfahren vergleichsweise kostengünstig und zeitsparend. „Es hat alles hervorragend geklappt“, freut sich Tim Hirth, der bei der TWS das Projekt leitet. „Wir haben bereits viel gelernt und lernen weiter. Für uns bei der TWS ist das Projekt wie ein kleines internes Start-up. Die Erfahrungen, die wir jetzt machen, kommen dann weiteren kommunalen Projekten zugute.“ Wichtig für das reibungslose Vorankommen des Projektes war und ist, dass mit der Thüringer Netkom GmbH für die Glasfaseranbindung, der TEN Thüringer Energienetze GmbH & Co. KG für die Strominfrastruktur und der KomSolar Service GmbH für die Photovoltaik-Dachanlagen drei weitere TEAG-Töchter im Neubaugebiet Lehmkuhle engagiert sind. „Man kennt sich. Für uns ist das ein großes kooperatives Projekt, das vermeidet Reibungsverluste und gewährleistet eine ganzheitliche Quartierslösung“, so Tim Hirth.

Förderung als Demonstrationsprojekt 

Die Energiegenossenschaft Helmetal eG als Bauherr kann das Projekt „Kalte Nahwärme“ zu etwa 50 Prozent mit Förderzuwendungen finanzieren. Mitte November 2020 hatte die Energiegenossenschaft eine Förderung aus dem GREENinvest-Programm der Thüringer Aufbaubank beantragt. „Modellhaftes Vorhaben zur Reduzierung von energiebedingten CO2-Emissionen unter Anwendung neuer Energie- und Energieeinspartechnologien mit Multiplikatoreffekt (Demonstrationsvorhaben)“ – so lautete der Ausschreibungstext. Bereits in der zweiten Aprilhälfte 2021 erhielten sie anlässlich des Spatenstichs für das Wohngebiet mit 33 Grundstücken und Flächen von jeweils 550 bis 950 Quadratmetern den Zuwendungsbescheid aus der Hand der Thüringer Umweltministerin Anja Siegesmund. „Für vergleichbare Projekte ist gerade eine Bundesförderung für effiziente Wärmenetze in Vorbereitung, die hoffentlich auch kalte Nahwärme unterstützt“, blickt Tim Hirth nach vorne. Die für die Häuser vorgesehenen Wärmepumpen müssen für den Einsatz in kalten Nahwärmenetzen optimiert sein.  Die TWS bietet eine optimal für das Netz abgestimmte Wärmepumpe zum Kauf an oder alternativ eine ebensolche Wärmepumpe im Anlagencontracting. Durch eine digitale Leistungsregelung wird eine bedarfsgerechte Wärmeversorgung mit Umweltenergie gewährleistet. Auch die PV-Dachanlage können die künftigen Hausbesitzer von der KomSolar beziehen oder im Rahmen eines Contractings nutzen. 

Großes Interesse

Das Projekt stieß nicht nur auf dem Bürgerenergietag in Nordhausen im Juni 2021 auf durchweg positive Resonanz. Auch nachdem die TEAG das Innovationsprojekt „Kalte Wärmenetze“ auf der Verbandsversammlung der KEBT Kommunalen Energiebeteiligungsgesellschaft Thüringen AG den etwa 500 Bürgermeistern und kommunalen Vertretern vorgestellt hatte, war das Interesse groß. Jürgen Weidt erklärt, welche Voraussetzungen eine Kommune mitbringen muss, um ein vergleichbares Projekt anzugehen: „Sie brauchen ein ausgewiesenes Neubaugebiet, entsprechende Freiflächen oder auch eine andere Wärmequelle wie ein Gewässer in der Nähe, kompetente Partner – und das Wichtigste: engagierte Leute vor Ort, die die lokale Energiewende vorantreiben wollen.“